Sternchen Winnetou I Sternchen
Karl Mays Roman »Winnetou I« erschien in Buchform erstmals 1893. Die Hörspiel­adaptionen der ersten beiden Folgen umfassen von den ur­sprünglichen 22 Roman-Kapiteln die Nummern 4 bis 14 (Folge 1) und 14 bis 21 (Folge 2). Die Einleitung entfiel. Die 3. Folge wurde der Reihe nachträglich hinzugefügt und entstand erst 9 Jahre später. Sie unterscheidet sich daher in ihrer Produktion spürbar von ihren Vorläufern, wenngleich hierfür sowohl Peter Folken (Skriptautor) als auch Konrad Halver (Titelrolle) nach langjähriger Abwesenheit ihre letzte Zusammenarbeit mit dem Studio EUROPA absolvierten.

Eine Hörspielbesprechung von Dr. Karsten Hein

»Wer kein Pferd hat, kann nicht reiten.«
   [Old Shatterhand]


LP 115 509
Karl Mays Jugenderzählung Der schwarze Mustang erschien 1896/97 zunächst in Fortsetzungen in einer Zeitschrift. 1899 und 1916 folgten bearbeitete Fassungen unter dem Titel Halbblut in Buchform. Der Text blieb aber weiterhin eine Erzählung und wurde nicht zum buchfüllenden Roman ausgebaut. Er beansprucht etwa die Hälfte des Umfangs anderer Karl-May-Romane. Die Erzählung wird nicht aus der Sicht Old Shatterhands, sondern aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers geschildert.
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Die beiden deutschen Vettern Has und Kas Timpe fühlen sich um eine reiche Erbschaft betrogen, der sie nun im Wilden Westen nachjagen wollen. Im Eisenbahnerlager Firwood-Camp treffen sie auf Winnetou und Old Shatterhand, die einen Verdacht gegen den halbblütigen Scout des Lagers schöpfen, der sich Jato Inda (Guter Mann) nennt. Offenbar handelt es sich aber um Ik Senanda (Böse Schlange), einen Enkel des Häuptlings Tokvi Kava (Schwarzer Mustang). Tatsächlich soll Ik Senanda das Lager ausspionieren. Winnetou und Old Shatterhand gelingt es, die Pläne der feindlichen Indianer zu erraten und den Mestizen zur Flucht zu veranlassen, um Vorbereitungen zur Verteidigung des Lagers treffen zu können. In der gleichen Nacht werden ihre Gewehre - Silberbüchse, Bärentöter und Henrystutzen - von zwei chinesischen Arbeitern gestohlen, die diesen wiederum der Schwarze Mustang abnimmt.

Winnetou und Old Shatterhand fahren per Bahn zur nächsten Station Rocky-Ground, wo sie auf Hobble-Frank und dessen Vetter Tante Droll treffen. Der Apache und sein Freund können die Indianer, welche einen Angriff auf das Eisenbahnercamp vorbereiten, belauschen, ihre Gewehre wieder an sich bringen und den Mestizen gefangen nehmen. Mit dem Zug geht es zur vorbereiteten Falle in der Nähe des Firwood-Camps zurück, wo man die erst später eintreffenden Indianer in der Felsenschlucht Birch-Hole überrascht und einkesselt. Das Halbblut kann sich mit Hilfe der beiden chinesischen Gewehrdiebe befreien. Der Schwarze Mustang sendet seinen Enkel zu seinem Stamm, um neue Pferde und Waffen zu besorgen. Doch Ik Senanda kehrt unverrichteter Dinge zurück. Selbst Tokvi Kavas Pferd, den Schwarzen Mustang, führt er nicht mit. Der Stamm betrachtet den Häuptling damit als ausgestoßen.

Der wütende Schwarze Mustang und Böse Schlange stoßen bei ihrem Marsch durch die Sierra Moro auf eine Gruppe von Goldsuchern, die von einem alten Mann - von den anderen »Majestät« genannt - angeführt wird. Die Goldsucher werden von Ik Senanda mit der Ausssicht auf einen großen Goldfund, die sagenhafte Bonanza of Hoaka, in eine Felsenfalle gelockt, um ihnen die Pferde abzunehmen. Old Shatterhand und seine Freunde können eingreifen und die Goldgräber befreien. Schließlich wird auch der Erbschaftsbetrug an den Timpes enträtselt: Unter den Goldgräbern befindet sich der angeblich verbrecherische Vetter Nahum Timpe, der die Geschichte von der verlorenen, reichen Erbschaft als bösen Spaß unseliger Verwandter aufklärt.
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Von den fünf Kapiteln der Erzählung wurden Teile aus den Kapiteln 1, 2, 3 und 4 verwendet. Das von Karl May zeitlich nicht näher definierte Abenteuer wurde für das Hörspiel zwischen die Beerdigung Intschu Tschunas und Nscho tschis und die Verfolgung Santers angesiedelt, also zwischen die Romane Winnetou I und II, beziehungsweise zwischen die Hörspiele Winnetou I, 2. Teil und Winnetou II, 1. Teil und erhielt damit den Titel Winnetou I, 3. Teil. Die Erzählung hat mit den Ereignissen der Winnetou-Trilogie nichts zu tun und passt trotz der starken Kürzung der Erzählung auf wenige Szenen nicht in den gewählten, ernsten Rahmen. Der Titel Der schwarze Mustang befand sich lediglich auf dem Cover-Rücken der LP. Die Entscheidung, die Erzählung hier einzubauen und den verkaufsträchtigen Titel Winnetou verwenden zu können, stand offenbar im Vordergrund.

1975 hatten Konrad Halver und Peter Folken bei der BASF bereits ein eigenes Hörspiel Halbblut produziert, welches gelungener erscheint als diese EUROPA-Fassung. Im selben Jahr waren beide nach jahrelanger Abwesenheit erstmals wieder für EUROPA tätig (Old Shatterhand 1 und 2, Old Firehand 1 und 2). Das hier kommentierte Hörspiel (und das letzte Karl-May-Hörspiel auf EUROPA, Winnetou III, 3. Teil) entstanden 1977. Halver übernahm 1979 die Idee, der Winnetou-Trilogie Zwischenfolgen nachzuschieben, für das BASF/Piccolo-Label und produzierte dort Winnetou II, 3. Folge - Der alte Scout und Winnetou III, 3. Folge - Die Geier des Llano Estacado. Konrad Halver übernahm 1987 auf dem Label Karussell im Hörspiel Halbblut die Hauptrolle.

Um das Hörspiel als Einschub passender zu machen, wurden weite Teile der Handlung und eine Reihe von Personen fortgelassen. So fehlt der Handlungsstrang der Timpevettern und ihrer Erbschaft sowie der Komplex der Goldgräber. Neben den Timpevettern wurden auch die Westleute Hobble-Frank und dessen Vetter Tante Droll gestrichen. Diese hätten zwischen Winnetous Schwur und der Befreiung Sam Hawkens' inhaltlich wohl zu weit geführt. Letztendlich ist das Hörspiel auch für EUROPA-Verhältnisse mit nicht einmal 33 Minuten Länge verhältnismäßig kurz geraten und arm an handelnden Personen.
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Durch das Einfügen von Winnetou I, 3. Folge zwischen die Hörspielkomplexe Winnetou I und II ergaben sich eine Reihe von formalen und inhaltlichen Ungereimtheiten:
  • Old Shatterhand erhält seinen berühmten Stutzen vom Büchsenmacher Henry erst in Winnetou II. Im Schwarzen Mustang besitzt er ihn jedoch bereits.
  • Der Mord an Intschu Tschuna und Nscho tschi müsste sich innerhalb von etwa zwei Tagen im Wilden Westen herumgesprochen haben.
  • Ebenso müsste die Tatsache, dass Winnetou nun Häuptling der Apachen und Besitzer der Silberbüchse ist, in dieser kurzen Zeit weithin bekannt sein.
  • Old Shatterhand kann zum Zeitpunkt der Handlung noch nicht so berühmt sein, dass sein Name unter Westleuten geläufig ist.
  • Während in Winnetou I der Bau der Eisenbahn von den Apachen anfänglich äußerst kritisch gesehen wird, ist es hier offenbar selbstverständlich, dass wenige Tagesreisen vom Nugget Tsil entfernt die Bahnstation Firwood Camp liegt.
Winnetou wirkt hier gleich zu Beginn in seinem Verhör des Halbbluts äußerst fahrig und viel zu redselig. Man vermisst seine Würde, wie sie aus der ursprünglichen Trilogie bekannt ist. Die chinesischen Arbeiter, welche in Karl Mays Erzählung äußerst herablassend beschrieben werden, wirken in ihren Rollen im Hörspiel, gesprochen von Franz-Josef Steffens und Horst Schick, lächerlich. Leider erinnert die gesamte Atmosphäre des Hörspiels weniger an die früheren Karl-May-Hörspiele von EUROPA als viel mehr an ein Hörspiel wie Mein Freund der Shawano.
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Bei der Auswahl der Musik orientierte man sich erstaunlicherweise weder an den Stücken des somerset-Labels, welche 1968 für die Winnetou-Trilogie ursprünglich verwendet worden waren, noch an den Kompositionen, die 1972 die Karl-May-Aufnahmen von Dagmar von Kurmin bestimmten. Es werden hauptsächlich klassische Stücke verwendet, die 1970 auf dem Zweiteiler Old Surehand zu hören waren.